Sonstiges Personal

Im Concertgebouw Amsterdam, 1909, v.l.n.r.: der Komponist Cornelis Dopper, Gustav Mahler, Intendant Hendrik Freijer, Willem Mengelberg und der Komponist Alphons Diepenbrock (Foto: W.A. van Leer; Quelle: Nederlands Muziek Instituut)

Wer noch mitspielt.

In Der Richtigspieler tauchen einige historische Persönlichkeiten auf. Drei von ihnen sollen hier kurz beschrieben werden, denn sie spielen Schlüsselrollen im Buch: Gustav Mahler, Marion von Weber und Arthur Seyß-Inquart.

Gustav Mahler

Zu seinen Lebzeiten war Gustav Mahler (1860 – 1911) als Dirigent und Kapellmeister der Wiener Hofoper eine Legende. Als Komponist war er damals hingegen umstritten. Mengelberg kann wohl als der Einzige gelten, der sich vorbehaltlos für Mahlers Musik begeisterte. Zwischen 1903 und 1909 studierten Mahler und Mengelberg in Amsterdam gemeinsam Mahlers Symphonien ein – von der Ersten bis zur Siebten.

Mengelbergs Dirigierpartituren, die sich im Archiv des Niederländischen Musikinstituts in Den Haag befinden, legen beredtes Zeugnis von der Intensität dieser Zusammenarbeit ab. Die Druckseiten sind geradezu übersät mit Notizen von Mengelbergs Hand. Großenteils geben sie Änderungen bei Lautstärke, Tempi oder Instrumentierung wieder, die von Mengelberg vorgeschlagen und von Mahler genehmigt wurden. Zumindest behauptete Mengelberg dies und es kann ausgeschlossen werden, dass er dem Willen des Komponisten zuwiderhandelte. Mahler wiederum vertraute der Intuition des Niederländers beim Orchesterklang mehr als seiner eigenen. Man kann also sagen, dass die Referenz für Mahlers Musik heute nahezu unbeachtet im Archiv vor sich hindämmert.

Leider existieren auch nur drei Aufnahmen von Mengelberg und dem Concertgebouw-Orchester mit Mahlers Musik: eine vollständige 4. Symphonie, das Adagietto aus der Fünften und die Lieder eines fahrenden Gesellen. Man sagt es ungern, aber sie deklassieren tatsächlich die meisten anderen Aufnahmen dieser Werke.

Waren Mahler und Mengelberg Freunde? Mahler ließ niemanden wirklich nahe an sich heran. Aber Mengelberg stand bei ihm zumindest an der Schwelle zu echter Freundschaft – eine Ausnahme. Mahler bewunderte die Interpretationskunst des Niederländers. Er mochte dessen Einfachheit, Unbekümmertheit und Fürsorglichkeit. Zugleich störte ihn Mengelbergs Einfachheit dort, wo sie auf mangelnden Intellekt hinauslief. Es war dies aber höchstens ein kleiner Wermutstropfen in der Beziehung.

Mengelberg wiederum betete Mahler förmlich an. Er bewunderte dessen tiefe Spiritualität, die ihm selbst verschlossen blieb. Auf Mengelbergs Nachtschränkchen in der Chasa standen zwei gerahmte Fotografien: Die eine zeigte seine Frau Tilly, die andere Mahler. Im Musikzimmer hing ein einziges Bild an der Wand: ein Abzug von Mahlers erstem Kinderfoto. So habe ich es mit eigenen Augen gesehen.

Mahlers Witwe Alma, die ansonsten eine Schneise verwüsteter Freundschaften hinterließ, blieb Mengelberg bis an dessen Lebensende tief verbunden.

Marion von Weber

Marion von Weber (1856 – 1931) war mit dem Enkelsohn des Komponisten Carl Maria von Weber (Der Freischütz, Oberon) verheiratet. Im Frühjahr 1888 war sie außerdem die Geliebte von Gustav Mahler, der in Leipzig als junger Assistent für Arthur Nikisch dirigierte. Die Affäre brachte den Ehemann im Wortsinn um den Verstand. Marion beendete daraufhin das Verhältnis mit Mahler. Zuvor aber hatte der Komponist ihr viele Manuskripte seiner ersten Werke geschenkt – das Wichtigste, was er zu geben hatte. (Später würde er auch Alma in ähnlicher Weise beschenken, als er um sie warb.)

Im Sommer 1907 lernt Mengelberg die inzwischen verwitwete Baronin per Zufall in Dresden kennen – ohne etwas von deren Vergangenheit zu ahnen. Auch hier hält sich Der Richtigspieler an die Fakten: Die Weber fährt mit ihm im eigenen Auto auf die Bastei. Von hier schickt Mengelberg seiner Frau Tilly eine begeisterte Ansichtskarte nach Amsterdam („op dat hooge puntje zie je mij staan“). Am Abend dann legt sie ihm in Dresden Mahlers Partiturmanuskripte vor. Beide spielen vierhändig das später von Mahler aus der Partitur gestrichene Andante aus der 1. Symphonie auf Webers altem Komponierklavier. Und dann offenbart sich Marion ihm. Über diese magischen Stunden schreibt Mengelberg einen vierseitigen Brief an Tilly. Es ist also alles bis ins Detail belegt.

Die Partiturmanuskripte allerdings geben heute Rätsel auf. Sie sind verschwunden, vermutlich im Dresdner Feuersturm von 1945 verbrannt. Beim Manuskript der 1. Symphonie kann es sich nicht um die Endfassung gehandelt haben – diese ist erhalten. Vermutet wird, dass das verschollene Andante eine Frühfassung von Mahlers unveröffentlicht gebliebener Komposition Blumine darstellt. Deren finale Noten wurden erst 1966 wiederentdeckt.

Arthur Seyß-Inquart

Im Buch tritt er nur unter seinem Spitznamen auf: Sechs-ein-Viertel. Dabei handelt es sich – in deutscher Übersetzung – um eine seinerzeit unter der niederländischen Bevölkerung verbreitete, onomatopoetische Verballhornung seines Namens. Dass nur dieser Spitzname vorkommt, soll andeuten, welche Pein es dem Helden des Buches bedeutet, über seinen Umgang mit dieser Person zu sprechen. Sie gipfelt in der Unaussprechlichkeit von deren richtigen Namen.

Arthur Seyß-Inquart (1892 – 1946) führte den Titel eines Reichskommissars der besetzen Niederlande, war also der Chef des Nazi-Besatzerregimes – und zwar die gesamte Besatzungszeit hindurch: fünf Jahre lang.

Von Geburt her war er Österreicher (eigentlich: Deutsch-Mährer), und er war promovierter Jurist. In Österreich galt er als Nationalsozialist der ersten Stunde. Seyß-Inquart war 1938 maßgeblich am Sturz der Schuschnigg-Regierung und damit am „Anschluss“ Österreichs beteiligt. Von Rechts wegen hätte er also ein hohes politisches Führungsamt in der nunmehrigen „Ostmark“ beanspruchen können. Das aber traute ihm Hitler nicht zu: Seyß-Inquart galt ihm als zu schwach. Also musste er auf seine Aufgabe warten. Eigentlich wollte er schon aufgeben und seine Anwaltskanzlei weiterführen. Aber so weit ging Hitlers Undankbarkeit nicht. Die Verwaltung der relativ unwichtigen Niederlande war dann der richtige Posten für Seyß-Inquart.

Wenn dieser in Der Richtigspieler als verhinderter Kulturmensch in Erscheinung tritt, so stimmt das. Allerdings war er selbst es, der das verhinderte. Seyß-Inquart war musisch gebildet und interessiert. Er meinte die Niederländer wirklich zu mögen, wollte sie „mit fürsorglicher Hand“ führen und aus ihrem Land ein „nationalsozialistisches Musterland“ machen. Der damit verbundene, unauflösliche Widerspruch dürfte dem hochintelligenten Mann bewusst gewesen sein. (Albert Speer berichtet in seinem Spandauer Tagebuch, Seyß-Inquart hätte beim IQ-Test in Nürnberg den höchsten Wert aller Angeklagten erzielt.)

Vor allem aber wollte er wohl seinem Führer beweisen, dass er ein ganzer Kerl sei. So erzielte Seyß-Inquart außerdem einen – im Vergleich der besetzten Länder – Spitzenwert bei der Erfassung und Deportation der jüdischen Bevölkerung. Weit über hunderttausend ermordete Juden gehen auf sein Konto. Hinzu kommen Geiselerschießungen, denn als die „fürsorglich geführten“ Niederländer den Aufstand probten, geriet der Reichskommissar in Panik. Dass einer wie Mengelberg in mehr als 40 Einzelfällen mit ihm handeln konnte, zeugt wohl auch von Seyß-Inquarts schlechtem Gewissen.

Mengelberg hat sich aber – im Unterschied zu anderen prominenten Niederländern – nie privat mit dem Reichskommissar eingelassen. So viel Instinkt besaß er denn doch. Dass er ihn bei offiziellen Anlässen traf, war unter den gegebenen Umständen kaum zu vermeiden. Die dabei entstanden Fotos, die beide zeigen, haben Mengelberg natürlich nicht zum Vorteil gereicht.

Bei der Befreiung der Niederlande stellte sich Seyß-Inquart in vollem Bewusstsein, dass ihn das Todesurteil erwartete, freiwillig den Alliierten.